Sonntag, 30. September 2012

Die Odyssee von Chile nach Argentinien

Der “normale” Weg von Villa O’Higgins nach El Chalten ist 70km lang. Zwar muss man hier auch so manches mal schieben, aber es ist die kürzeste Verbindung von Chile nach Argentinien. Da der Grenzposten aber erst am 01. November öffnet, musste ich einen etwas anderen Weg nehmen. Von O’Higgins erst mal 6km zurück auf der Carretera Austral und dann hoch zum “Paso Rio Meyer”. Nach 47km stand ich dann vor der chilenischen Migration. Der Grenzbeamter begrüßte mich mit Handschlag und in der guten Stube durfte ich unter dem Bild des Präsidenten platz nehmen, während er meinen Pass studierte und feierlich den Ausreisestempel reindrueckte. Dann nahm er ein kleines Blatt Papier und malte etwas auf. Als wir wieder vor der Tür standen, erklärte er mir seine Skizze, die den weiteren Weg darstellen sollte. Ganz einfach: am Fluss entlang, wenn von links ein Fluss kommt, diesem bis zur Brücke folgen, dann die Strasse entlang, rechts am Berg vorbei und dann ist da die argentinische Migration. Es war 16:00 Uhr als ich meinen Drahtesel in das Niemandsland schob. Und schieben war bis zur argentinischen Grenze angesagt, denn es gab keinen fahrbaren Weg mehr, sondern nur noch Steine, Schotter, Wasser, Sumpf und Dreck. Und da ich für sechs Tage im Nichts unterwegs war, war mein Rad mit Lebensmitteln beladen, wie noch nie zuvor und dementsprechend schwer. Als von links der Fluss kam, gab es keinen Weg an seinem Ufer entlang. Also zurück und einen anderen Weg finden. Durch sumpfigen Morast hievte ich mein Fahrrad auf einem Umweg zum Fluss. Dann ging es über riesige Kieselsteine weiter – mehr tragen als schieben. Nach etwas über einem Kilometer sollte die Brücke kommen – aber es kam nichts. Nicht nach einem und nicht nach zwei Kilometern. Ich ließ mein Rad auf dem Boden liegen und ging zu Fuss weiter, um die Brücke zu suchen, fand sie aber nicht.

Ian hat die Bruecke gefunden und mir eine Nachricht hinerlassen...

Dafür aber eine Stelle, wo der Gebirgsbach sich in drei Arme aufteilte. Hier sah ich meine Chance, rueber zu kommen. Das Rad bis zu dieser Stelle getragen, Schuhe, Socken und Hose aus und Badelatschen an. Mit den ersten beiden Taschen tauchte ich in die eisig kalten Fluten ein. Den ersten Arm konnte ich mit seinem knietiefen Wasser ohne Probleme queren. Der zweite Arm war tiefer und hatte eine wahnsinnige Strömung. Ich hatte Mühe, mein Gleichgewicht zu halten. Wäre mir eine Tasche in das Wasser gefallen – sie wäre für immer weg gewesen. Mit Mühe und Not kam ich wieder am Ufer an – und die Strömung hatte mir die Badelatschen von den Fuessen gezogen. Barfuss ging es durch den dritten Arm. Nach der ersten Querung hatte ich schon fast kein Gefühl mehr in den Fuessen, so kalt war es. Barfuss ging es wieder zurück zum anderen Ufer. Barfuss auf den Steinen im Fluss zu gehen, war schon schwierig. Also habe ich meine Schuhe wieder angezogen und bin noch drei mal hin und her. Die letzte Querung mit meinem Rad war dann noch mal eine besondere Herausforderung. Die ganze Aktion hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Von den Knien an abwärts hatte ich vor Kälte kein Gefühl mehr. Und dann noch nasse Schuhe. Ich wollte nur noch in’s Zelt. Aber zelten war hier nicht möglich, da ein heftiger Sturm durch das Tal fegte und ich mein Zelt so nicht aufstellen konnte. Am Horizont sah ich Sträucher und Bäume, die etwas Schutz boten. Nach weiteren 40 Minuten war ich endlich dort und konnte mein Zelt aufstellen – und ab in den Schlafsack, Fuesse aufwärmen. Es war schon 20:00 Uhr – und in den letzten vier Stunden hatte ich nicht wirklich viele Kilometer geschafft. War mir in diesem Moment aber ziemlich egal, hauptsache die Fuesse wurden wieder warm.
 
Am nächsten Morgen ging die Odyssee dann weiter. Wo war nur die verdammte Strasse? Ich schob durch das Tal hin und her und fand keinerlei Anzeichen von Zivilisation. Als ich hinter einem Hügel suchte, fand ich endlich die Brücke – nur leider etwas zu spät. Hügel – ein gutes Stichwort. Hier erst mal hoch und sich einen Überblick von oben verschaffen. Und dann sah ich sie – Autospuren. Freudestrahlend ging es wieder runter und ich schob zu diesen Spuren. Aber den Weg, den die Spuren durch das Tal machten, kam mir sehr komisch vor. So langsam kam ich mir etwas verloren vor. Als die Spuren noch völlig aus der Richtung verliefen und auf eine Hochebene gingen, kam etwas Verzweiflung auf. Aber ich bin ihnen weiter gefolgt, denn es gab nichts anderes. Nach endlosen Stunden sah ich in der Ferne einen Gaucho auf seinem Pferd. Ich schrie und winkte wie ein Irrer – und er bemerkte mich und kam auf mich zu. Ich fragte nach dem Weg zur Migration – er grinste nur und sagte, dass das der Weg ist. Mir viel eine Zentner schwere Last von der Seele. Und am nächsten Bach den ich barfuss queren musste, fand ich dann zu meiner Überraschung auch Radspuren von Ian, der mir ein oder zwei Tage voraus war.
  
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Bis zur argentinischen Migration war es noch ein langer, harter Weg – ohne eigentlichen Weg. Schieben, tragen, Bäche queren. Gegen 16:00 Uhr hatte ich dann endlich den argentinischen Stempel in meinem Pass. 12 Stunden Schiebezeit hatte ich für 15 Kilometer gebraucht – was für eine Qual. Aber meine Odyssee war noch nicht zu Ende. Der starke Wind, der auf der Ostseite der Anden weht, schob mich Schotterhügel hoch, ohne das ich treten musste. Drehte die Strasse jedoch unglücklich in den Wind, drückte der Wind mich von der Strasse oder warf mich fast vom Fahrrad. Am späten Abend hatte ich einen kleinen Pass erreicht und vor mir lag die endlose argentinsiche Pampa. Oben am Pass boten mir noch einige Sträucher Schutz vor dem Sturm und so stellte ich mein Zelt hier auf – beschwert mit allem, was ich dabei hatte, damit der Wind mir das Zelt nicht wegwehte. Mit gutem Rückenwind ging es am nächsten Tag dann runter in die Pampa. Jedoch konnte ich den Rückenwind nicht nutzen, denn auf der schlechten Schotterpiste war schnelles Fahren unmöglich. Zu meiner grossen Freude floss auch noch ein 25 Meter breiter Fluss mitten durch die Strasse – eine Brücke suchte ich vergebens. Meine Worte bei dem Anblick dieses Gewaessers gebe ich an dieser Stelle lieber nicht wieder. Mit meinen gerade wieder trockenen Schuhen ging es erneut mehrfach durch das braune, kalte Wasser. 70km bin ich an diesem Tag gefahren, dann endlich stand ich vor der Ruta 40 und sah Asphalt. Mit gutem Rückenwind brauchte ich die nächsten 55km kaum in die Pedalen treten und flog fast über die Strasse. Für diese Strecke habe ich keine zwei Stunden gebraucht – Radfahren kann ja sooooo schön sein. Nach 55km war dann aber wieder Schluss mit Teer und der Schotter kam zurück. Doch nicht mehr heute. Ich stellte mein Zelt in einer alten Hausruine auf, die mich so einladend dazu aufgefordert hat, hier Windschutz zu suchen. Oder was bedeutet “No Pasar”???
  
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Die nächsten Tage auf der Ruta 40 erinnerten mich an den Film “Und täglich gruesst das Murmeltier”. Jeder Tag war wie der andere. Horrormaessig schlechte Schotterpiste führte durch die Baum- und Strauchlose Pampa. Jedes Verkehrsschild war eine willkommene Abwechslung für das Auge. Keine drei Autos am Tag, kein Haus, keine Zivilisation.  Wann immer ich ein Auto sah, bin ich vor den Kühler gesprungen, um nach Wasser zu fragen. Die Odyssee wollte und wollte kein Ende nehmen. Der Schotter war wirklich der schlechteste, auf dem ich je gefahren bin. Und anstatt Regen gab es zur Abwechslung Wind, Wind oder Wind.
  
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Einen Abend konnte ich auf einer Estancia mein Zelt aufstellen. Es gab sogar Cola zu kaufen und vier Empanadas als Geschenk dazu. Ich war im siebten Himmel. Sieben Tage hat die Fahrt von Villa O’Higgins nach El Calafate gedauert. Dazwischen nur ein kleiner Ort (Tres Lagos) mit 190 Einwohnern, einer Bäckerei und einem kleinen Supermarkt. Hier konnte ich noch mal etwas Verpflegung nachkaufen und in einer guten Hospedaje übernachten. Nur gut, dass ich in Puerto Montt schon etwas Geld in argentinische Pesos gewechselt hatte. Zwei Kilometer nach Tres Lagos setzte dann endlich wieder der Asphalt ein. Ich war heilfroh, dass mein Rad diesen Ritt unbeschadet überstanden hat. Bis auf eine angerissene Kette, völlig abgenutzte Bremsen und einen erledigten Radfahrer war alles in Ordnung.
 
El Calafate war nach all den Tagen die Oase mitten in der Pampa. Viele Hostales, Geldautomaten, Supermärkte, Restaurants – auf gut deutsch: das Schlaraffenland. Hier bin ich nun seit drei Tagen, um mich etwas zu erholen und um meine Erkältung auszukurieren, die ich mir im kalten Wasser geholt habe. Das der Weg zum Ende der Welt noch mal so hart werden würde, hätte ich niemals gedacht. Alleine die ganzen Lebensmittel die ich mitgeschleppt habe, die nicht vorhandene Wasserversorgung sowie die Einsamkeit haben die letzten Tage mit zu den härtesten der Tour gemacht. Ich habe Ian in El Calafate wiedergetroffen. Und bei einem Bier und gutem Essen haben wir die letzten Tage etwas Revue passieren lassen. Und es war gut zu hören, dass auch er die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie ich. Am Ende des Abends konnten wir beide schon wieder über diesen Teil der Tour lachen..
  
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Und zum Schluss:
 
Von Puerto Montt bis Tres Lagos waren es 1.605 Kilometer. Davon knappe 300km auf Asphalt, der Rest auf Schotter, wobei der Schotter von Kilometer zu Kilometer schlechter wurde.
 
El Chalten und den Fitz Roy habe ich ausgelassen, da mich das drei Tage gekostet hätte. Ich habe den Berg auch von der Strasse aus gesehen, auch wenn das wahrscheinlich nicht so spektakulär ist, wie an seinen Fuessen zu stehen. Aber die Zeit wird langsam etwas knapp.
 
Mein “Spot” sendet kein Signal mehr, da ich dem Ende der Welt immer näher komme und es hier keine Sattelitenabdeckung mehr gibt. Knappe 1.000 Kilometer sind es noch bis Ushuaia…..
  

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