Mit Ian sollte es die nächsten Tage über die Carretera gehen. Doch nach 35 gemeinsamen Kilometern trennten sich unsere Wege schon wieder. Mein Hinterrad machte mal wieder komische Geräusche und ich bin per Anhalter zurück nach Coyhaique und direkt in einen Radladen zum zentrieren. Der Tag war gelaufen. Also bin ich einen Tag später alleine losgefahren. Die ersten 100km liefen super. Auf gutem Asphalt strampelte ich mich 30km hoch zum Ibanez-Pass, mit 1.120 Metern der höchste Punkt der Carretera. Hier oben war es winterlich kalt, Seen waren noch gefroren und der Schnee lag Meterhoch neben der Strasse. Ein Wintermärchen. Nach dem Pass ging es dann in langen Serpentinen runter nach Cerro Castillo, einem kleinen, verschlafenen Nest an der Carretera. Dort habe ich erst mal in einem alten Bus, der zu einem Restaurant umgebaut wurde, zwei heiße Tassen Tee und Kuchen genossen.
Nach Cerro Castillo war dann Schluss mit Lustig – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Asphalt hörte auf und es schloss sich eine obereüble Schotterpiste mit teilweise mörderischen Steigungen an. Nachdem ich mich noch eine gute Stunde fluchend über die Piste gequält hatte, war links ein guter Zeltplatz neben einem Bach. In der Nacht öffnete Petrus dann die Himmelsschleusen und es regnete ohne Unterlass. Und dieser Regen sollte mich nun ZWEI Tage ununterbrochen begleiten. Meine Laune war mal wieder dahin. Am Morgen in Regenklamotten aus dem Zelt und weiter auf der Schotterpiste. Zu meiner hellen Freude ging es sogar noch 20km bergauf. Der Regen steigerte sich den ganzen Tag über und gegen 16:00 Uhr war Weltuntergang angesagt. Es schüttete wie aus Kübeln. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt 70km geschafft, war bis auf die Knochen nass und fror. Bis zum nächsten Ort waren es noch 50km und kein Auto in Sicht. Aber dafür fand ich an der Strasse ein leeres Haus. Schnell das Rad reingeschoben, die nassen Sachen zum trocknen aufgehängt, Zelt im Haus aufgestellt und mal abwarten, was noch so kommt. Der Regen prasselte unaufhörlich auf das Wellblechdach und der Wind rüttelte an den mit Planen verhangenen Fenstern. Da das kein schlechter Platz für eine Nacht war, beschloss ich dort zu bleiben. Ich hatte nur kein Wasser mehr und ein Bach war weit und breit nicht in Sicht. Also habe ich kurzerhand meine Tasse, Topf und Mueslischuessel in den Regen gestellt und eine halbe Stunde später waren alle Flaschen wieder voll. Nach dem Abendessen ging es in den warmen Schlafsack. Ich lauschte noch etwas dem Regen und war bald eingeschlafen.
In der Nacht und auch am nächsten Morgen keine Wetterbesserung in Sicht. Aber wenigsten waren meine Sachen trocken. Also bin ich wieder raus in den Regen und habe mich auf den Weg nach Rio Tranquilo gemacht. Dort kann man die “Capilla de Marmol” besuchen – ein Highlight an der Carretera. Für die Bootstour wollten die doch glatt 51 EUR haben. Da ich mal wieder total nass und durchgefroren war, beschloss ich, weniger Geld lieber in ein Hostal und eine warme Dusche zu investieren. Anschließend noch kurz einkaufen und ab in’s warme Bett.
Am nächsten Morgen schien dann wieder die Sonne. Es war zwar eisig kalt, aber das konnte ich verschmerzen. An diesem Tag verlief die Strasse parallel zum “Rio Baker”. Ich habe noch nie einen so grünen Fluss gesehen. Aber die Strasse verläuft nicht entlang seinem Ufer, vielmehr geht sie durch die Berge mit den härtesten Steigungen, die ich bisher gefahren bin. Im Stehen und mit allem Kraftaufwand habe ich versucht, mein Rad durch den Schotter hochzufahren. Meistens drehte der Hinterreifen einmal durch und ich stand auf der Strasse. Und ein 50kg schweres Rad diese Hügel raufschieben, war auch kein Vergnügen. Wie schon in den Tagen zuvor, war es jeden Tag Schwerstarbeit seine Tageskilometer zu sammeln.
Nach 4 Tagen dann mal wieder ein Hauch von Zivilisation. Ich war in Cochrane – einem Ort mit 3.000 Einwohnern und guter Infrastruktur. Obwohl die Landschaft wunderschoen war, hatte ich keine Lust mehr, weiter zu fahren. Vorallem, weil nun noch eine Einsamkeitsetappe von drei Tagen anstand. Also habe ich nach einer Busverbindung zum Ende der Carretera gefragt. Ein Bus fuhr, allerdings erst in drei Tage. Es war nämlich Nationalfeiertag in Chile. Drei Tage haben die Chilenen die Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1810 gefeiert – und da ging halt mal drei Tage nichts. Und so toll war der Ort nun auch nicht, als das ich hier drei Tage haette verweilen wollen. Also zurück in den Supermarkt Lebensmittel für drei Tage kaufen und weiter.
Es stimmt schon, dass die Landschaft auf dem zweiten Teil der Carretera wilder, atemberaubender und natürlicher ist . Dafür ist es aber auch kälter, einsamer und verlassener. Ich hatte in den Tagen immer tolle Campingplätze an Flüssen. Da mein Campingkocher in der Zwischenzeit total seinen Dienst verweigert und es keine Möglichkeit zum Aufwärmen gab, habe ich mich fast jeden Abend vor ein wärmendes Lagerfeuer gesetzt. Auch wenn ich nie der große Outdoor-Koch war – eine Tasse Tee und meine warmen Nudeln fehlen mir dennoch seit ein paar Tage sehr. Immer nur Brot, Käse, Würstchen und Tomaten ist dann doch etwas eintönig – und vorallem kalt.
In den drei Tagen haben mich nur drei Autos in Richtung O’Higgins überholt. Und alle drei waren nicht dafür geeignet, einen Radfahrer mitzunehmen. Etwas Auftrieb haben mir jedoch zwei Engländer gegeben, die 5.000 Meilen durch Südamerika laufen und die ich auf der einsamen Strecke mit ihrem Trailer getroffen habe (da soll noch einer sagen, ich sei verrückt !). Ferner hat mich ein chilenisches Pärchen auf Kurzurlaub mit Mandarinen und Keksen versorgt. Und die Aussicht, in O’Higgins wieder eine warme Dusche zu bekommen, spornte auch an.
72km bin ich am letzten Tag dann noch bis O’Higgins gefahren und es regnete mal wieder den ganzen Tag. Villa O’Higgins ist ein kleiner Ort mit 600 Einwohnern am Ende der 1.200km langen Carretera Austral. Von hier aus geht für viele dann der Weg weiter in Richtung Argentinien. Nach einem Ruhetag heute werde auch ich mich morgen wieder auf den Weg machen in das letzte Land meiner Reise.
Fazit zur Carretera Austral: Wenn man mal überlegt, dass es von Flensburg nach München ca. 1.000km quer durch die Republik sind (und das auf Asphalt) – dann sind 1.200 km durch Patagonien auf der Carretera Austral schon eine Ansage. Landschaftlich ist die Strecke einmalig schön mit den vielen Seen, Bergen und der Naturbelassenheit. Für Radfahrer ist sie eine Herausforderung, da gerade auf dem zweiten Teil die unaufhörlichen steilen Auf und Ab’s auf Schotter an den Kräften zehren. Wenn man dann noch sein Rad mit einigen Kilos Lebensmittel beladen muss, wird es wirklich hart. Der Vorteil: Wasser gibt es überall – und es muss nicht mal gefiltert werden. Auch an Tieren gibt es einiges zu sehen. Neben Nutztieren wie Schafen, Rindern oder Pferden habe ich Otter, Füchse, Eulen, Condore, Rehwild und Vecunas gesehen. Und mitten im wilden Patagonien am Abend an einem knisternden Lagerfeuer zu sitzen, während nebenan ein wilder Fluss rauscht, ist schon toll. Jedoch sollte man – wenn es denn zeitlich passt – diese Herausforderung eher im Sommer angehen, denn der Winter erschwert die (Tor-) Tour doch noch um einiges. Und wer wasserscheu ist, bleibt am besten gleich zu Hause.
Ich habe in Coyhaique Peter Hartmann kennen gelernt. Ein Sohn deutscher Auswanderer. Er ist einer der führenden Köpfe in der Bürgerbewegung “Patagonia sin Represas” - “Patagonien ohne Daemme”. Es gibt nämlich Pläne, in Patagonien Dämme zu bauen und die Landschaft mit Stromleitungen zu verschandeln. An den Autos und den Häusern findet man überall Banner, die sich gegen dieses Vorhaben richten. Der Kampf dauert nun schon fast sechs Jahre an – und eine Entscheidung, ob die Dämme kommen oder nicht, ist bis heute noch nicht gefallen. Ich für meinen Teil hoffe, dass Patagonien so rauh und natürlich bleibt, wie es ist. Und dass "sin Represas”.
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