Dienstag, 24. Juli 2012

Ferien in den Bergen

Mit nur zwei Tagen in La Paz bleiben – daraus ist nichts geworden. Heute bin ich immer noch hier – und was in den letzten Tagen so los war, möchte ich nun erzählen:
   
Nach einer geruhsamen Nacht in der Casa de Ciclista, die direkt im Zentrum von La Paz liegt, habe ich am nächsten “Ruhtetag” die üblichen Dinge erledigt. Wäsche zur Wäscherei, Einkaufen im Supermarkt und etwas durch die Stadt schlendern. Auf meiner Tour durch die Stadt kam ich an einer Bergsteigeragentur vorbei. Reinschauen kann ja nicht schaden…. Ein kurzes Gespräch und Preisvergleiche – schon war eine Tour zum Huayna Potosi (6.088 Meter) gebucht. Abends gab es noch eine kurze Informationsveranstaltung und die Anprobe für Schuhe und Kleidung standen auf dem Programm. Am nächsten Morgen ging es dann los in Richtung Berg.
  
IMG_2070Ich hatte ja schon mit Blick auf den Berg gezeltet – aber je näher wir dem gewaltigen Bergmassiv kamen, desto sprachloser wurde ich. Das war schon ein großer Klotz, dem ich da auf das Dach steigen wollte. Am Basecamp angekommen wurden die schweren Rucksaecke geschultert und es ging hoch zum “Campo Alto Roca” auf 5.310 Meter. Eine einfache Hütte, voll mit Menschen, die einmal über 6.000 Metern stehen wollten. Nach dem Abendessen ging es in das Massenlager zum Schlafen – Schlafsack an Schlafsack. Und da war an schlafen nicht zu denken. Irgendeiner war immer am Husten, Prusten oder lief raus zur Toilette. Kurz vor Mitternacht machten sich die ersten Gruppen fertig für den Gipfelsturm. Mein Guide Felix war der Meinung, dass ich wohl fit genug bin und wir erst um 2:00 Uhr losgehen müssten. OK – bleibe ich halt noch etwas liegen. Um 2:00 Uhr verließ ich dann so ziemlich als letzter die Hütte. Die Höhe hat mir nicht viel ausgemacht und so haben wir ein gutes Tempo an den Tag bzw. die Nacht gelegt. Über mir der sternenklare Himmel, unten im Tal die Lichter von El Alto. Meter um Meter ging es hoch und es war nicht all zu kalt. Bis auf 6.000 Meter war es fast ein Kinderspiel. Für die letzten 88 Höhenmeter sagte mir Felix, ich soll mich nun etwas konzentrieren, denn es geht über einen ziemlich schmalen Grad hoch zum Gipfel. Ich hatte anfangs etwas Herzklopfen auf dem Grad,  das sich aber mit jedem Schritt legte. Wir hatten alle anderen Gruppen überholt und ich stand gegen 07:00 Uhr auf dem Gipfel – 6.088 Meter über dem Meeresspiegel. Es war kurz vor Sonnenaufgang und der Ausblick auf das Land mit der aufgehenden Sonne hat mich ziemlich sprachlos gemacht. Ich konnte den Titicacasee sehen, der Kessel von La Paz sowie der Jungel lagen unter eine Wolkendecke und der Bergriese Illamanie sowie die gesamte Cordilliera Real schimmerte golden im Licht der aufgehenden Sonne.
   
Panorama Huayna Potosi I
    
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Wir waren eine halbe Stunde oben, dann ging es wieder runter. In der Nacht hat man leider keinen Blick au die Schnee- und Eiswelt die einen umgibt. Dafür war es beim runtergehen um so schöner von dieser weissen Unendlichkeit umgeben zu sein.
    
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Es war Sonntag, als ich wieder zurück in La Paz war. Am Montag wollte ich dann noch einige Besorgungen erledigen und die Stadt so schnell wie möglich wieder verlassen. Aber: Fehlanzeige. Am Montag hat sich La Paz selber gefeiert. 203 Jahre wurde die Stadt alt und an diesem Tag war auch ALLES geschlossen. Es gab viele Paraden und die alltägliche Hektik der Millionenmetropole kam etwas zur Ruhe. Ich habe mir an der Kathedrale das bunte Treiben angesehen und die vielen Musikkapellen haben auch den einen oder anderen bekannten Marsch zum besten gegeben.
    
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Es war ein farbenfrohes und musikalisches Spektakel. Die gesamte Politprominenz der Stadt hat sich auf der Ehrentribüne präsentiert, ein feierliches Hochamt wurde zelebriert und “Viva La Paz” hallte durch die Strassen und über die Plätze.
Am Dienstag war dann wieder Alltag angesagt – die Stadt war hektische und der Verkehr wieder nervtötend. Kurz bevor ich am Morgen losging um einige Dinge zu erledigen, wurde in der Casa de Ciclista über Berge philosophiert. Inspiriert vom “Sajama” – dem höchsten Berg Boliviens mit 6.549 Metern - bin ich in die Stadt und habe noch mal unverbindlich einige Bergagenturen abgeklappert und  nach einer Besteigungsmoeglichkeit gefragt. Es schien aber so, dass ich wohl der einzige war, der dort hoch wollte. Und für mich alleine wäre das mit 700 US $ dann doch wohl etwas zu teuer geworden. Zurück in der Casa habe ich davon erzählt und so nach und nach fanden sich vier andere Radler, die den Berg auch gerne angehen wollten. Am Abend war es dann beschlossene Sache – zu fünft wollten wir auch diesem Berg auf das Dach steigen und das ohne Agentur sondern in Eigenregie. Somit wurde meine Abfahrt mal wieder verschoben – aber für einen Berg sollte das kein Problem sein. Am nächsten Tag wurde alles organisatorische erledigt. Busticket kaufen, Ausrüstung ausleihen, Lebensmittel einkaufen.
  
Tagebuch einer Bergbesteigung
    
19.07.2012 – Tag 1
Mit zwei Taxen und riesigen Rucksäcken fuhren wir um 06:00 Uhr zum Busbahnhof. Der Bus fuhr pünktlich um 07:00 Uhr ab. Gegen 10:30 Uhr hielt der Bus mitten im Nichts an – wir mussten hier aussteigen. Ein altes Schild weist den Weg in eine Schotterstrasse zum Dorf Sajama. Netterweise ist auf dem Schild auch angegeben, dass es 11 km bis zum Dorf sind. Mit den deutlich über 25kg schweren Rucksaecken nehmen wir die Beine in die Hand und marschieren los. Im Dorf angekommen, stärken wir uns erst mal und organisieren einen Guide für den Gipfelsturm. Die Packesel sind alle unterwegs und somit müssen wir unseren Rucksack auch noch bis rauf in das Basecamp schleppen. Weitere 8 km und einige Höhenmeter später erreichen wir endlich das Basecamp auf 4.800 Metern. Die Sonne geht gerade unter und es wird eisig kalt. Zelte aufbauen, kochen, essen und ab in die Schlafsäcke. Die Schultern brennen und die Fuesse qualmen.
   
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20.07.2012 – Tag 2
Mit Sonnenaufgang kriechen wir aus unseren Schlafsäcken. Es ist immer noch eisig kalt, denn die Sonne hat unser Camp noch nicht erreicht. Pünktlich erscheint unser Guide, wir schultern wieder unsere schweren Rucksacke, die diesmal noch um 4 Liter Wasser bereichert sind. Anfangs ist der Weg hoch noch gut zu gehen, bis wir die Steigeisen anlegen und Bekanntschaft mit “Büßereis” machen. Es ist wahnsinning anstrengend in diesen Eisfeldern zu gehen und die Höhe macht sich zudem auch noch bemerkbar. Gegen 16:00 Uhr erreichen wir das Hochcamp auf 5.700 Metern. Für die Zelte müssen wir in Schnee und Eis eine ebene Fläche mit dem Eispickel schaffen – das alles strengt sehr an. Dann wird Abendessen gekocht und mit Sonnenuntergang sinkt die Temperatur wieder auf das gefühlte Niveau einer Kühltruhe. Matheo der Spanier und ich sitzen noch bis 20:00 Uhr vor den Zelten und schmelzen Schnee zu Wasser, damit wir auch genug Flüssigkeit für den nächsten Tag haben. Eine langwierige Prozedur. Die Kälte kriecht durch jede Ritze der Kleidung. Kurz nach 20:00 Uhr liege ich mit allem, was ich an Kleidung mit habe, im Schlafsack. Juan, der Argentinier mit dem ich mir das Zelt teile, ist völlig fertig und die Höhe macht ihm zu schaffen. Er liegt unruhig im Schlafsack und wird nicht mit zum Gipfel kommen. So kann ein 39. Geburtstag aussehen – wobei ich der Variante “mit Bier auf dem Balkon sitzen” in diesem Moment deutlich den Vorzug gegeben habe.
   
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21.07.2012 – Tag 3
Um Mitternacht stehen wir auf. Das Anziehen in der Höhe und Kälte ist anstrengend und bringt mich richtig aus der Puste. Fruehstueck bekomme ich nicht runter. Ich bin irgendwie fertig und habe nicht eine Minute geschlafen. Wir ziehen die Steigeisen an und marschieren gegen 01:00 Uhr los. Es geht fast nur über Büßereis. Dann kommt eine steile Schneeflanke, die wir gesichert empor steigen. Dann geht es weiter über Büßereis. Ich hasse es. Die Pausen werden immer mehr, immer länger. Gegen 5:20 Uhr auf 6.100 Metern frage ich unseren Guide, wie lange der Weg hoch und runter dauern wird. Die Antwort war niederschmetternd. Wir waren zu langsam. Knapp 3,5 bis 4 Stunden rauf, 3 bis 4 Stunden runter zum Hochlager und dann noch mal 3 bis 4 Stunden runter in das Basislager. In meinem Kopf begannen die Gedanken zu kreisen. Bis hoch zum Gipfel würde ich es schaffen, aber dann wäre keine Kraft mehr da, für den Rückweg. Wenn ich jetzt umkehre, muss der Guide mit runter und die anderen können nicht weitergehen – was machen??? Nach Luft ringend stand ich in der Kälte der Nacht und musste eine Entscheidung treffen. Nach abwägen aller Gegebenheiten, stand für mich fest: ich muss runter. Schluss, aus, vorbei. Und ich war heilfroh, dass auch Matheo am Ende war und sich sofort meiner Entscheidung anschloss, runter zu gehen. Die beiden Polen Agnieszka und Mateusz überlegten kurz, ob sie alleine weiter gehen sollten, entschieden sich dann aber auch, um zukehren. Bis zum Hochlager ging es so, dann ließ die Kraft immer weiter nach und ich bin mit den Steigeisen den Berg runter, wie ein Anfänger. Wieder dieses verdammte Büßereis. Mit letzter Kraft habe ich um 18:00 Uhr das Basecamp erreicht. Die Entscheidung abzubrechen war richtig – kam aber etwas zu spät.
     
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22.07.2012 – Tag 4
Nach einer weiteren kalten Nacht im Basecamp brechen wir nach dem Frühstück unsere Zelte ab. Juan und ich mieten einen Esel, der unsere Rucksäcke zurück in das Dorf bringt. Dort angekommen gibt es erst mal Cola ohne Ende und ein gutes Mittagessen. Dann organisieren wir ein Taxi, dass uns direkt nach La Paz bringt. Mit bolivianischer Musik bringt uns der Fahrer sicher zurück und auf die heiße Dusche habe wir uns alle richtig gefreut. Die Casa ist in der Zwischenzeit von 15 Radfahrern bewohnt. Fünf hat der Eigentümer Christian ausquatiert, da sonst nicht genug Platz für alle gewesen wäre. Wir haben so einiges zu erzählen, bevor wir gegen Mitternacht müde in unsere Schlafsäcke verschwinden.
    
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Soviel zu meinen Ferien in den Bergen. Die Leihausrüstung ist zurück gegeben und ich brauche heute auch noch einen Ruhetag. Morgen geht es dann aber definitiv weiter – Berge hin oder her. Ich freue mich nun auf das nächste große Abenteuer – den Salar de Uyuni.
    
An dieser Stelle ein herzliches Dankeschön für all die netten Mails mit Glueckwuenschen zum Geburtstag. Der zweite auf meiner Reise. Krachen lassen konnte ich es aufgrund der örtlichen Gegebenheiten jedoch nicht. Und nachdem ich nun drei Geburtstag in Folge auf Reisen war und kein Bier ausgeben konnte, werde ich das am nächsten Geburtstag alles nachholen – wird ja schließlich der 40. Und der fällt auch noch passend auf einen Samstag. Also, 20 Juli 2013 schon mal vormerken. Kaltes Bier und Bratwurst auf dem Hof Lanwehr.

Und zu guter letzt:
  
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