Sonntag, 30. September 2012

Die Odyssee von Chile nach Argentinien

Der “normale” Weg von Villa O’Higgins nach El Chalten ist 70km lang. Zwar muss man hier auch so manches mal schieben, aber es ist die kürzeste Verbindung von Chile nach Argentinien. Da der Grenzposten aber erst am 01. November öffnet, musste ich einen etwas anderen Weg nehmen. Von O’Higgins erst mal 6km zurück auf der Carretera Austral und dann hoch zum “Paso Rio Meyer”. Nach 47km stand ich dann vor der chilenischen Migration. Der Grenzbeamter begrüßte mich mit Handschlag und in der guten Stube durfte ich unter dem Bild des Präsidenten platz nehmen, während er meinen Pass studierte und feierlich den Ausreisestempel reindrueckte. Dann nahm er ein kleines Blatt Papier und malte etwas auf. Als wir wieder vor der Tür standen, erklärte er mir seine Skizze, die den weiteren Weg darstellen sollte. Ganz einfach: am Fluss entlang, wenn von links ein Fluss kommt, diesem bis zur Brücke folgen, dann die Strasse entlang, rechts am Berg vorbei und dann ist da die argentinische Migration. Es war 16:00 Uhr als ich meinen Drahtesel in das Niemandsland schob. Und schieben war bis zur argentinischen Grenze angesagt, denn es gab keinen fahrbaren Weg mehr, sondern nur noch Steine, Schotter, Wasser, Sumpf und Dreck. Und da ich für sechs Tage im Nichts unterwegs war, war mein Rad mit Lebensmitteln beladen, wie noch nie zuvor und dementsprechend schwer. Als von links der Fluss kam, gab es keinen Weg an seinem Ufer entlang. Also zurück und einen anderen Weg finden. Durch sumpfigen Morast hievte ich mein Fahrrad auf einem Umweg zum Fluss. Dann ging es über riesige Kieselsteine weiter – mehr tragen als schieben. Nach etwas über einem Kilometer sollte die Brücke kommen – aber es kam nichts. Nicht nach einem und nicht nach zwei Kilometern. Ich ließ mein Rad auf dem Boden liegen und ging zu Fuss weiter, um die Brücke zu suchen, fand sie aber nicht.

Ian hat die Bruecke gefunden und mir eine Nachricht hinerlassen...

Dafür aber eine Stelle, wo der Gebirgsbach sich in drei Arme aufteilte. Hier sah ich meine Chance, rueber zu kommen. Das Rad bis zu dieser Stelle getragen, Schuhe, Socken und Hose aus und Badelatschen an. Mit den ersten beiden Taschen tauchte ich in die eisig kalten Fluten ein. Den ersten Arm konnte ich mit seinem knietiefen Wasser ohne Probleme queren. Der zweite Arm war tiefer und hatte eine wahnsinnige Strömung. Ich hatte Mühe, mein Gleichgewicht zu halten. Wäre mir eine Tasche in das Wasser gefallen – sie wäre für immer weg gewesen. Mit Mühe und Not kam ich wieder am Ufer an – und die Strömung hatte mir die Badelatschen von den Fuessen gezogen. Barfuss ging es durch den dritten Arm. Nach der ersten Querung hatte ich schon fast kein Gefühl mehr in den Fuessen, so kalt war es. Barfuss ging es wieder zurück zum anderen Ufer. Barfuss auf den Steinen im Fluss zu gehen, war schon schwierig. Also habe ich meine Schuhe wieder angezogen und bin noch drei mal hin und her. Die letzte Querung mit meinem Rad war dann noch mal eine besondere Herausforderung. Die ganze Aktion hat eine gefühlte Ewigkeit gedauert. Von den Knien an abwärts hatte ich vor Kälte kein Gefühl mehr. Und dann noch nasse Schuhe. Ich wollte nur noch in’s Zelt. Aber zelten war hier nicht möglich, da ein heftiger Sturm durch das Tal fegte und ich mein Zelt so nicht aufstellen konnte. Am Horizont sah ich Sträucher und Bäume, die etwas Schutz boten. Nach weiteren 40 Minuten war ich endlich dort und konnte mein Zelt aufstellen – und ab in den Schlafsack, Fuesse aufwärmen. Es war schon 20:00 Uhr – und in den letzten vier Stunden hatte ich nicht wirklich viele Kilometer geschafft. War mir in diesem Moment aber ziemlich egal, hauptsache die Fuesse wurden wieder warm.
 
Am nächsten Morgen ging die Odyssee dann weiter. Wo war nur die verdammte Strasse? Ich schob durch das Tal hin und her und fand keinerlei Anzeichen von Zivilisation. Als ich hinter einem Hügel suchte, fand ich endlich die Brücke – nur leider etwas zu spät. Hügel – ein gutes Stichwort. Hier erst mal hoch und sich einen Überblick von oben verschaffen. Und dann sah ich sie – Autospuren. Freudestrahlend ging es wieder runter und ich schob zu diesen Spuren. Aber den Weg, den die Spuren durch das Tal machten, kam mir sehr komisch vor. So langsam kam ich mir etwas verloren vor. Als die Spuren noch völlig aus der Richtung verliefen und auf eine Hochebene gingen, kam etwas Verzweiflung auf. Aber ich bin ihnen weiter gefolgt, denn es gab nichts anderes. Nach endlosen Stunden sah ich in der Ferne einen Gaucho auf seinem Pferd. Ich schrie und winkte wie ein Irrer – und er bemerkte mich und kam auf mich zu. Ich fragte nach dem Weg zur Migration – er grinste nur und sagte, dass das der Weg ist. Mir viel eine Zentner schwere Last von der Seele. Und am nächsten Bach den ich barfuss queren musste, fand ich dann zu meiner Überraschung auch Radspuren von Ian, der mir ein oder zwei Tage voraus war.
  
IMG_3967     IMG_3969
  
Bis zur argentinischen Migration war es noch ein langer, harter Weg – ohne eigentlichen Weg. Schieben, tragen, Bäche queren. Gegen 16:00 Uhr hatte ich dann endlich den argentinischen Stempel in meinem Pass. 12 Stunden Schiebezeit hatte ich für 15 Kilometer gebraucht – was für eine Qual. Aber meine Odyssee war noch nicht zu Ende. Der starke Wind, der auf der Ostseite der Anden weht, schob mich Schotterhügel hoch, ohne das ich treten musste. Drehte die Strasse jedoch unglücklich in den Wind, drückte der Wind mich von der Strasse oder warf mich fast vom Fahrrad. Am späten Abend hatte ich einen kleinen Pass erreicht und vor mir lag die endlose argentinsiche Pampa. Oben am Pass boten mir noch einige Sträucher Schutz vor dem Sturm und so stellte ich mein Zelt hier auf – beschwert mit allem, was ich dabei hatte, damit der Wind mir das Zelt nicht wegwehte. Mit gutem Rückenwind ging es am nächsten Tag dann runter in die Pampa. Jedoch konnte ich den Rückenwind nicht nutzen, denn auf der schlechten Schotterpiste war schnelles Fahren unmöglich. Zu meiner grossen Freude floss auch noch ein 25 Meter breiter Fluss mitten durch die Strasse – eine Brücke suchte ich vergebens. Meine Worte bei dem Anblick dieses Gewaessers gebe ich an dieser Stelle lieber nicht wieder. Mit meinen gerade wieder trockenen Schuhen ging es erneut mehrfach durch das braune, kalte Wasser. 70km bin ich an diesem Tag gefahren, dann endlich stand ich vor der Ruta 40 und sah Asphalt. Mit gutem Rückenwind brauchte ich die nächsten 55km kaum in die Pedalen treten und flog fast über die Strasse. Für diese Strecke habe ich keine zwei Stunden gebraucht – Radfahren kann ja sooooo schön sein. Nach 55km war dann aber wieder Schluss mit Teer und der Schotter kam zurück. Doch nicht mehr heute. Ich stellte mein Zelt in einer alten Hausruine auf, die mich so einladend dazu aufgefordert hat, hier Windschutz zu suchen. Oder was bedeutet “No Pasar”???
  
IMG_4010     IMG_4006
  
Die nächsten Tage auf der Ruta 40 erinnerten mich an den Film “Und täglich gruesst das Murmeltier”. Jeder Tag war wie der andere. Horrormaessig schlechte Schotterpiste führte durch die Baum- und Strauchlose Pampa. Jedes Verkehrsschild war eine willkommene Abwechslung für das Auge. Keine drei Autos am Tag, kein Haus, keine Zivilisation.  Wann immer ich ein Auto sah, bin ich vor den Kühler gesprungen, um nach Wasser zu fragen. Die Odyssee wollte und wollte kein Ende nehmen. Der Schotter war wirklich der schlechteste, auf dem ich je gefahren bin. Und anstatt Regen gab es zur Abwechslung Wind, Wind oder Wind.
  
IMG_3996
  
IMG_4020     IMG_4038
 
Einen Abend konnte ich auf einer Estancia mein Zelt aufstellen. Es gab sogar Cola zu kaufen und vier Empanadas als Geschenk dazu. Ich war im siebten Himmel. Sieben Tage hat die Fahrt von Villa O’Higgins nach El Calafate gedauert. Dazwischen nur ein kleiner Ort (Tres Lagos) mit 190 Einwohnern, einer Bäckerei und einem kleinen Supermarkt. Hier konnte ich noch mal etwas Verpflegung nachkaufen und in einer guten Hospedaje übernachten. Nur gut, dass ich in Puerto Montt schon etwas Geld in argentinische Pesos gewechselt hatte. Zwei Kilometer nach Tres Lagos setzte dann endlich wieder der Asphalt ein. Ich war heilfroh, dass mein Rad diesen Ritt unbeschadet überstanden hat. Bis auf eine angerissene Kette, völlig abgenutzte Bremsen und einen erledigten Radfahrer war alles in Ordnung.
 
El Calafate war nach all den Tagen die Oase mitten in der Pampa. Viele Hostales, Geldautomaten, Supermärkte, Restaurants – auf gut deutsch: das Schlaraffenland. Hier bin ich nun seit drei Tagen, um mich etwas zu erholen und um meine Erkältung auszukurieren, die ich mir im kalten Wasser geholt habe. Das der Weg zum Ende der Welt noch mal so hart werden würde, hätte ich niemals gedacht. Alleine die ganzen Lebensmittel die ich mitgeschleppt habe, die nicht vorhandene Wasserversorgung sowie die Einsamkeit haben die letzten Tage mit zu den härtesten der Tour gemacht. Ich habe Ian in El Calafate wiedergetroffen. Und bei einem Bier und gutem Essen haben wir die letzten Tage etwas Revue passieren lassen. Und es war gut zu hören, dass auch er die gleichen Erfahrungen gemacht hat wie ich. Am Ende des Abends konnten wir beide schon wieder über diesen Teil der Tour lachen..
  
IMG_4000     IMG_3994
 
Und zum Schluss:
 
Von Puerto Montt bis Tres Lagos waren es 1.605 Kilometer. Davon knappe 300km auf Asphalt, der Rest auf Schotter, wobei der Schotter von Kilometer zu Kilometer schlechter wurde.
 
El Chalten und den Fitz Roy habe ich ausgelassen, da mich das drei Tage gekostet hätte. Ich habe den Berg auch von der Strasse aus gesehen, auch wenn das wahrscheinlich nicht so spektakulär ist, wie an seinen Fuessen zu stehen. Aber die Zeit wird langsam etwas knapp.
 
Mein “Spot” sendet kein Signal mehr, da ich dem Ende der Welt immer näher komme und es hier keine Sattelitenabdeckung mehr gibt. Knappe 1.000 Kilometer sind es noch bis Ushuaia…..
  

Donnerstag, 20. September 2012

La Carretera Austral General Augusto Pinochet - Teil 2


Mit Ian sollte es die nächsten Tage über die Carretera gehen. Doch nach 35 gemeinsamen Kilometern trennten sich unsere Wege schon wieder. Mein Hinterrad machte mal wieder komische Geräusche und ich bin per Anhalter zurück nach Coyhaique und direkt in einen Radladen zum zentrieren. Der Tag war gelaufen. Also bin ich einen Tag später alleine losgefahren. Die ersten 100km liefen super. Auf gutem Asphalt strampelte ich mich 30km hoch zum Ibanez-Pass, mit 1.120 Metern der höchste Punkt der Carretera. Hier oben war es winterlich kalt, Seen waren noch gefroren und der Schnee lag Meterhoch neben der Strasse. Ein Wintermärchen. Nach dem Pass ging es dann in langen Serpentinen runter nach Cerro Castillo, einem kleinen, verschlafenen Nest an der Carretera. Dort habe ich erst mal in einem alten Bus, der zu einem Restaurant umgebaut wurde, zwei heiße Tassen Tee und Kuchen genossen.
 
IMG_3846    
  
Panorama Carretera Austral 5
  
Nach Cerro Castillo war dann Schluss mit Lustig – im wahrsten Sinne des Wortes. Der Asphalt hörte auf und es schloss sich eine obereüble Schotterpiste mit teilweise mörderischen Steigungen an. Nachdem ich mich noch eine gute Stunde fluchend über die Piste gequält hatte, war links ein guter Zeltplatz neben einem Bach. In der Nacht öffnete Petrus dann die Himmelsschleusen und es regnete ohne Unterlass. Und dieser Regen sollte mich nun ZWEI Tage ununterbrochen begleiten. Meine Laune war mal wieder dahin. Am Morgen in Regenklamotten aus dem Zelt und weiter auf der Schotterpiste. Zu meiner hellen Freude ging es sogar noch 20km bergauf. Der Regen steigerte sich den ganzen Tag über und gegen 16:00 Uhr war Weltuntergang angesagt. Es schüttete wie aus Kübeln. Ich hatte zu diesem Zeitpunkt 70km geschafft, war bis auf die Knochen nass und fror. Bis zum nächsten Ort waren es noch 50km und kein Auto in Sicht. Aber dafür fand ich an der Strasse ein leeres Haus. Schnell das Rad reingeschoben, die nassen Sachen zum trocknen aufgehängt, Zelt im Haus aufgestellt und mal abwarten, was noch so kommt. Der Regen prasselte unaufhörlich auf das Wellblechdach und der Wind rüttelte an den mit Planen verhangenen Fenstern. Da das kein schlechter Platz für eine Nacht war, beschloss ich dort zu bleiben. Ich hatte nur kein Wasser mehr und ein Bach war weit und breit nicht in Sicht. Also habe ich kurzerhand meine Tasse, Topf und Mueslischuessel in den Regen gestellt und eine halbe Stunde später waren alle Flaschen wieder voll. Nach dem Abendessen ging es in den warmen Schlafsack. Ich lauschte noch etwas dem Regen und war bald eingeschlafen. 
  
IMG_3878     IMG_3873
 
In der Nacht und auch am nächsten Morgen keine Wetterbesserung in Sicht. Aber wenigsten waren meine Sachen trocken. Also bin ich wieder raus in den Regen und habe mich auf den Weg nach Rio Tranquilo gemacht. Dort kann man die “Capilla de Marmol” besuchen – ein Highlight an der Carretera. Für die Bootstour wollten die doch glatt 51 EUR haben. Da ich mal wieder total nass und durchgefroren war, beschloss ich, weniger Geld lieber in ein Hostal und eine warme Dusche zu investieren. Anschließend noch kurz einkaufen und ab in’s warme Bett.
 
IMG_3880     IMG_3874
  
Am nächsten Morgen schien dann wieder die Sonne. Es war zwar eisig kalt, aber das konnte ich verschmerzen. An diesem Tag verlief die Strasse parallel zum “Rio Baker”. Ich habe noch nie einen so grünen Fluss gesehen. Aber die Strasse verläuft nicht entlang seinem Ufer, vielmehr geht sie durch die Berge mit den härtesten Steigungen, die ich bisher gefahren bin. Im Stehen und mit allem Kraftaufwand habe ich versucht, mein Rad durch den Schotter hochzufahren. Meistens drehte der Hinterreifen einmal durch und ich stand auf der Strasse. Und ein 50kg schweres Rad diese Hügel raufschieben, war auch kein Vergnügen. Wie schon in den Tagen zuvor, war es jeden Tag Schwerstarbeit seine Tageskilometer zu sammeln.
Nach 4 Tagen dann mal wieder ein Hauch von Zivilisation. Ich war in Cochrane – einem Ort mit 3.000 Einwohnern und guter Infrastruktur. Obwohl die Landschaft wunderschoen war, hatte ich keine Lust mehr, weiter zu fahren. Vorallem, weil nun noch eine Einsamkeitsetappe von drei Tagen anstand. Also habe ich nach einer Busverbindung zum Ende der Carretera gefragt. Ein Bus fuhr, allerdings erst in drei Tage. Es war nämlich Nationalfeiertag in Chile. Drei Tage haben die Chilenen die Unabhängigkeit von Spanien im Jahre 1810 gefeiert – und da ging halt mal drei Tage nichts. Und so toll war der Ort nun auch nicht, als das ich hier drei Tage haette verweilen wollen. Also zurück in den Supermarkt Lebensmittel für drei Tage kaufen und weiter.
  
_IGP1702     IMG_3917
  
Es stimmt schon, dass die Landschaft auf dem zweiten Teil der Carretera wilder, atemberaubender und natürlicher ist . Dafür ist es aber auch kälter, einsamer und verlassener. Ich hatte in den Tagen immer tolle Campingplätze an Flüssen. Da mein Campingkocher in der Zwischenzeit total seinen Dienst verweigert und es keine Möglichkeit zum Aufwärmen gab, habe ich mich fast jeden Abend vor ein wärmendes Lagerfeuer gesetzt. Auch wenn ich nie der große Outdoor-Koch war – eine Tasse Tee und meine warmen Nudeln fehlen mir dennoch seit ein paar Tage sehr. Immer nur Brot, Käse, Würstchen und Tomaten ist dann doch etwas eintönig – und vorallem kalt.
In den drei Tagen haben mich nur drei Autos in Richtung O’Higgins überholt. Und alle drei waren nicht dafür geeignet, einen Radfahrer mitzunehmen. Etwas Auftrieb haben mir jedoch zwei Engländer gegeben, die 5.000 Meilen durch Südamerika laufen und die ich auf der einsamen Strecke mit ihrem Trailer getroffen habe (da soll noch einer sagen, ich sei verrückt !). Ferner hat mich ein chilenisches Pärchen auf Kurzurlaub mit Mandarinen und Keksen versorgt. Und die Aussicht, in O’Higgins wieder eine warme Dusche zu bekommen, spornte auch an.
  
IMG_3938     Eule
  
72km bin ich am letzten Tag dann noch bis O’Higgins gefahren und es regnete mal wieder den ganzen Tag. Villa O’Higgins ist ein kleiner Ort mit 600 Einwohnern am Ende der 1.200km langen Carretera Austral. Von hier aus geht für viele dann der Weg weiter in Richtung Argentinien. Nach einem Ruhetag heute werde auch ich mich morgen wieder auf den Weg machen in das letzte Land meiner Reise.
 
Fazit zur Carretera Austral: Wenn man mal überlegt, dass es von Flensburg nach München ca. 1.000km quer durch die Republik sind (und das auf Asphalt) – dann sind 1.200 km durch Patagonien auf der Carretera Austral schon eine Ansage. Landschaftlich ist die Strecke einmalig schön mit den vielen Seen, Bergen und der Naturbelassenheit. Für Radfahrer ist sie eine Herausforderung, da gerade auf dem zweiten Teil die unaufhörlichen steilen Auf und Ab’s auf Schotter an den Kräften zehren. Wenn man dann noch sein Rad mit einigen Kilos Lebensmittel beladen muss, wird es wirklich hart. Der Vorteil: Wasser gibt es überall – und es muss nicht mal gefiltert werden.  Auch an Tieren gibt es einiges zu sehen. Neben Nutztieren wie Schafen, Rindern oder Pferden habe ich Otter, Füchse, Eulen, Condore, Rehwild und Vecunas gesehen. Und mitten im wilden Patagonien am Abend an einem knisternden Lagerfeuer zu sitzen, während nebenan ein wilder Fluss rauscht, ist schon toll. Jedoch sollte man – wenn es denn zeitlich passt – diese Herausforderung eher im Sommer angehen, denn der Winter erschwert die (Tor-) Tour doch noch um einiges. Und wer wasserscheu ist, bleibt am besten gleich zu Hause.
  
IMG_3824Ich habe in Coyhaique Peter Hartmann kennen gelernt. Ein Sohn deutscher Auswanderer. Er ist einer der führenden Köpfe in der Bürgerbewegung “Patagonia sin Represas”  - “Patagonien ohne Daemme”. Es gibt nämlich Pläne, in Patagonien Dämme zu bauen und die Landschaft mit Stromleitungen zu verschandeln. An den Autos und den Häusern findet man überall Banner, die sich gegen dieses Vorhaben richten. Der Kampf dauert nun schon fast sechs Jahre an – und eine Entscheidung, ob die Dämme kommen oder nicht, ist bis heute noch nicht gefallen. Ich für meinen Teil hoffe, dass Patagonien so rauh und natürlich bleibt, wie es ist. Und dass "sin Represas”.
   
Panorama Carretera Austral 7
      

1.000 km zum 23.

 
Die 23.000 Kilometer sind geschafft.
Im Regen auf der Carretera Austral, 7 km vor Villa O' Higgins.
19.09.2012 - 16:57 Uhr
  

Mittwoch, 12. September 2012

La Carretera Austral General Augusto Pinochet - Teil 1

Von Puerto Montt nach Coyhaique – 600 km in 7 Tagen
  
1976 hat der damalige Diktaturmachthaber Chiles – Augusto Pinochet – aus militaerstrategischen Gründen seinen Militärs den Auftrag erteilt, eine “Strasse” zu bauen, damit die Gebiete im Süden des Landes auch erreichbar sind. Bis 1999 hat es gedauert und die “Strasse” erreichte Villa O’Higgins. Bau und Unterhaltung haben bisher mehr als eine Milliarde US$ verschlungen. Wobei man bei der Carretera Austal nicht von einer Strasse sprechen kann, sondern eher von einer Schneise, die durch den Regenwald getrieben wurde. 40km nach Puerto Montt hörte der Asphalt auf und Schotter in allen Formen war der Strassenbelag. Von sandigem Splitt bis zu faustgrossen Steinen, Waschbrett und badewannengrossen Schlaglöchern war alles dabei. Und da die Strasse durch ein sehr bergiges Gebiet verläuft, sind Flachstücke eher selten – vielmehr geht es auf und nieder, immer wieder….. Die gesamte Carretera ist 1.200 km lang. Davon sind in der zwischenzeit um die 200 km asphaltiert und 1.000 km Schotter. Viele Strassenbaustellen findet man entlang der Strasse, die jetzt zum Beginn des Frühlings repariert wird. Wobei reparieren heisst: Schotter auf die Strasse kippen, etwas gerade verteilen und fertig. Für Autos kein Problem – ein Radfahrer versinkt schon mal in dem neuen Schotterbett und fahren wird unmöglich.
  
IMG_3654     IMG_3748
  
Die Carretera ist sehr dünn besiedelt und oft sieht man stundenlang kein Auto und kein Haus. Eine herrliche Ruhe. Dennoch gibt es in guten Tagesabständen immer mal wieder einen kleinen Ort mit Versorgungsmoeglichkeiten. Die Luft ist unglaublich klar und rein und man kann den Frühling ab und zu schon riechen. Über den kleinen Orten liegt jedoch immer eine dichte Rauchwolke und es stinkt. Kein Wunder, denn eine Heizung hat hier niemand - es wird mit nassem Holz geheizt und die Schornsteine qualmen den ganzen Tag,
Die Natur entlang der Carretera ist wunderschön. Möchte nicht wissen, wie das erst im Frühling oder Sommer ist. Wenn die Sonne mal vom Himmel lacht und keine tief hängenden Wolken die Sicht versperren, umgeben einen Vulkane, schneebedeckte Berge, viel Grün, Wasserfälle, glasklare Flüsse und Seen. Wasserversorgung ist hier überhaupt kein Problem – einfach anhalten und Flaschen auffüllen. Habe sogar an einer richtigen Mineralwasserquelle angehalten und das war das beste Wasser seit langem.
   
IMG_3774      IMG_3785
  
Mit all dem Auf- und Ab und dem Schotter ist die Carretera anstrengend zu fahren. Und meine Laune ist genau so wie das Wetter: wechselhaft. Scheint die Sonne, laufen die Kilometer nur so, regnet es mal wieder in strömen wünscht man sich einfach nur noch einen trocknen, warmen Platz. Der heftigste Tag war am letzten Samstag. Ich bin morgens mit Regenklamotten aus dem Zelt raus und Abends total nass und durchgeschwitzt in das Zelt rein. Gegen Mittag gab es mal etwas Sonnenschein und ich habe an Ort und Stelle angehalten, um mein Zelt zu trocknen (was ich übrigens jeden Tag mache). Kaum war das Zelt trocken, regnete es wieder. Gegen 17:30 Uhr war ich im tiefsten Regenwald und ein Campingplatz war nicht zu finden. Vor mir lag ein 500 Meter hoher Pass, über den die Wolken nicht rueber kamen und somit vor dem Pass abregneten. Es nutzte alles nichts, ich musste noch hoch. 1,5 Stunden bin ich die steilen Schotterserpentinen hoch, es wurde immer kälter und oben lag Schnee. Oben auch kein Campingplatz – also auch noch runter. Meine Finger waren in den nassen Handschuhen fast erfroren, die Abfahrt auf nassem Schotter alles andere als ein Vergnügen. Im Tal angekommen gab es dann Asphalt und kurz darauf auch einen kleinen Platz neben der Strasse, wo ich mein Zelt aufstellen konnte. Ich konnte kaum noch die Finger bewegen und das Aufbauen des Zeltes hat länger als normal gedauert. Kaum stand das Ding, bin ich nur noch in den Schlafsack um mich aufzuwärmen. Die Satteltaschen blieben im Regen, da ich den Platz im Zelt brauchte, um meine nassen Sachen zu trocknen – jedoch vergebens, am nächsten Morgen war alles noch genau so nass. Jedoch schien die Sonne und gegen Mittag war mal wieder Trocknungsstopp angesagt.
  
IMG_3708
  
Aber wie ich schon in Costa Rica gelernt habe – Regenwald wächst nunmal nur dort, wo es auch Regnet. Und fairerweise muss ich auch sagen, dass sich Regen und Sonne in den letzten Tagen das Wetter geteilt haben.
Alles in allem waren es tolle 600km auf der Carretera. Und ich bin mal wieder fasziniert, wie unterschiedlich und abwechslungsreich die Landschaft noch immer sein kann. Ich bin nun über 22.000km in den unterschiedlichsten Vegetationszonen gefahren und erlebe immer noch Neues und Interessantes.
 
IMG_3670     IMG_3805
 Home sweet Home                                                       Die Carretera Austral ist die Ruta 7
  
Die größte Stadt an der Carretera ist Coyhaique. Hier bin ich in einem netten Hostal abgestiegen, die Wäsche war in der Wäscherei, habe heute morgen mein Rad zum vierten mal in einer Woche geputzt und es noch in einen Radladen geschoben: neue Bremsbacken mussten her, der Vorderreifen musste nachzentriert werden und eine Schraube habe ich mal wieder etwas überdreht...
Die nächsten 600 km der Carretera nehme ich dann ab morgen unter die Räder und mal schauen, ob es bis zum Ende geht. Denn aufgrund der Jahreszeit ist vieles geschlossen und Fähren fahren nur eingeschränkt. Und ein Grenzübertritt von Villa O’Higgins nach El Chalten ist auch nicht möglich, da die Grenzestation erst am 1. November öffnet. Den zweiten Teil werde ich übrigens zusammen mit Ian fahren, der irische Radler, mit dem ich schon von El Salvador nach Nicaragua gefahren bin. Wir wollten schon ab Puerto Montt zusammen fahren, aber hier musste ich noch einen Tag länger bleiben als geplant, da meine Felge am Vorderrad total verschlissen war und eine neue her musste. Langsam aber sicher merkt man, dass das Material über ein Jahr in gebrauch ist.
  
IMG_3704     _IGP1649
  
_IGP1666     IMG_3665
  
PS: Wie ich in den Nachrichten gelesen habe, ist in Nicaragua der Vulkan San Cristobal ausgebrochen. Um diesen Vulkan bin ich vor einigen Monaten zusammen mit Ian gefahren, während er kleine, weiße Wolken in den Himmel gespuckt hat.
 

Montag, 10. September 2012

1 Kilometer zum 22.222


Da ich die 22.000km verpasst habe, gibt es halt jetzt die Schnapszahl auf dem Tacho.
09.09.2012, 08:45 Uhr, Carretera Austral, Chile